Samstag, 27. Oktober 2018

Der falsche Damm

Samstag, 27. Oktober: Kinderdijk - Vlaardingen
Freitag, 26. Oktober: Dordrecht - Kinderdijk

'Letzte Station vor Rotterdam' - schnell gesagt. Den richtigen Weg durch die Deichlandschaft zu finden ist viel vertrackter als gedacht. Zudem hat der Regen eingesetzt, der Wind bläst von der Seite und es ist kühl geworden.



Dabei hat der Tag so freundlich angefangen. Mein kleiner Loft in Dordrecht mit dem grossen Fenster liegt ebenerdig zur Strasse, sodass die Leute für einmal mir zuschauen können, wie ich meine Brote streiche und meine Schuhe schnüre. Das Frühstück hat mir Madelone, die Besitzerin des B&Bs, mit einem lieben Gruss vorher bereitgestellt.



Der graue Himmel macht die Orientierung noch schwieriger. Plötzlich weisst du nicht mehr, gehst du nach Norden oder nach Süden. Der Wasserlauf in den Kanälen zeigt es dir auch nicht an, zumal diese immer rechtwinklig zueinander liegen. Weit und breit ist nichts, woran du dich halten könntest. Nachdem ich etwa drei Kilometer im nassen Gras einen Kanal entlang gegangen bin, frage ich einen Fischer unter seinem Regenzelt, ob ich auf diesem Damm richtig sei. Oh, nein, das geht genau in die entgegengesetzte Richtung, nur immer geradeaus und dann über die kleine, weisse Brücke, it's easy to find, sagt er aufmunternd. Ziemlich durchnässt und durchfroren komme ich in Kinderdijk bei den 19 alten Windmühlen an. Was für ein Anblick! Die Mühlen aus dem 18. Jahrhundert waren (von Kindern?) erbaut worden, um das überschüssige Wasser aus den Kanälen zu einem Sammelkanal zu pumpen, damit das Polderland, das einige Meter unter dem Meeresspiegel liegt, überhaupt bewirtschaftet werden konnte.
Traf ich vorher kaum eine Menschenseele, so wimmelt es hier von kichernden und knipsenden japanischen Touristen.


Nachdem ich festgestellt habe, dass es heute keine Fähre nach Ridderkerk mehr gibt und ich auch weniger weit gekommen bin als geplant, suche ich mir eine Unterkunft hier in der Nähe. Zum Glück! Wenn ich weitergegangen wäre, hätte ich das Spektakel beim Sonnenaufgang verpasst.
Beim Check-Out an der Rezeption merke ich, dass ich statt des Smartphones die TV-Fernbedienung in der Hand halte.


Rotterdam - magisches Wort, Chiffre für so vieles in den vergangenen Monaten! Plötzlich sind sie vor mir, die riesigen Häuser und Brücken und Schiffe. Es regnet, dunkel hängen die Wolken über der Stadt, das Wasser ist graubraun und trübe. Und selbst wird man immer unbedeutender angesichts dieser Dimensionen.



Im Café neben der Erasmusbrücke wünscht mir der sympathische junge Kellner a nice day. "I will have it", entgegne ich lachend. - "And why that?". Als ich ihm sage, wie ich hierhergekommen bin, meint er anerkennend: "Oh, exciting!".
Dann gehe ich den Schiffshäfen und Hafenkränen und Lagerhäusern und Werften und Industriegebäuden entlang weiter Richtung Hoek van Holland, der Mündung des Rheins, der hier jetzt Nieuwe Waterweg heisst, des Ziels meines Gangs.



Heute übernachte ich in Vlaardingen in einem Hotel für Schiffsleute, Lastwagenfahrer und Handwerker - für einen Fusswerker also nicht unpassend.
Von da weg sind es noch 25 Kilometer.




Donnerstag, 25. Oktober 2018

Herbstblätter

Donnerstag, 25. Oktober: Gorinchem - Dordrecht

Als ich mein wunderbares Zuhause der letzten beiden Tage unten am Kanal verlasse, spüre ich es wieder: den Drang weiterzugehen, die  leise Wehmut sowie die Bangigkeit vor dem Ungewissen. Es nieselt leicht, der Himmel ist grau. Auf der Fähre über die Nieuwe Merwede bin ich der einzige Fahrgast. Die Schiffsführerin hat rot lackierte Fingernägel. Als ich das Schiff verlasse, fehlt mir einen Moment lang die Orientierung. Wie und wo geht es weiter? Dann finde ich den Dammweg: Rechts erstrecken sich die Weiden mit den grasenden Kühen und dahinter treiben die Lastkähne wie Rossschnecken langsam auf dem Wasser dahin. Links liegen kleine Seen mit weissen Schwänen darauf. Der Weg hört plötzlich auf, Weitergehen auf der Wiese des Naturparks "op eigen risico"; ich gehe weiter. Der Herbstwind, das Laub am Boden, das Gewölk am Himmel erinnern mich an die Zeit von früher, als wir, sechs Freunde aus dem Gymnasium, zusammen eine Woche in der Hütte in den Bündner Bergen verbrachten. Wir hatten Parzival, Siddharta und Faust gelesen und fragten uns, welche Erwartungen wir selbst an das Leben haben. Wir spielten Gitarre und diskutierten, ob unser Leben wohl gelingen werde. Wir spazierten mit hochgeschlagenen Jackenkragen im kühlen Herbstwind, der die gelben Birkenblätter durch die Luft wirbelte, schauten auf die Lichter der Dörfer im Tal unten und schwiegen über unsere Sehnsüchte.
Die Stimmung jetzt ist genau gleich; der Weg durch das Weidengras könnte von mir aus immer weitergehen.


Aber irgend einmal komme ich bei der Fähre an, die mich hinüber nach Dordrecht bringt. Dann gehts noch sieben Kilometer bis in die Stadt hinein und zu meiner neuen Unterkunft.
Dordrecht - Letzte Station vor Rotterdam.


Mittwoch, 24. Oktober 2018

Historisch

Mittwoch, 24. Oktober: Gorinchem

Die Innenstadt ist sehr schmuck mit ihren alten Häusern und deren hohen Wohnzimmerfenstern, mit der Windmühle und dem Kanal, an dem die schweren Holzboote vertäut sind. Nachdem ich heute Morgen meinen Espresso getrunken habe, schlendere ich mehr oder weniger ziellos durch die Gassen und plötzlich frage ich mich, wonach ich eigentlich Ausschau halte: Ich sehe Statuen von irgendwelchen Königinnen oder Eroberern aus früheren Jahrhunderten, verspielte Springbrunnen, Gedenkinschriften für gefallene Soldaten, alte Kanonen, Rüstungen, riesige Anker mit Blumen geschmückt, Skulpturen geschenkt von Partnerstädten, Festungsanlagen, geziegelte Kirchen, pittoreske Häuserfassaden, auf denen die Daten der letzten Überflutungen eingraviert sind, usw. Hinter all diesen Dingen stecken Geschichten, die ich nachlesen oder mir erklären lassen könnte. Irgendwie reicht es mir jedoch, einfach wahrzunehmen, dass es das alles gibt.




Solche Orte werden übrigens oft "historisch" genannt. Und was ist mit den andern, die nicht mit diesem Attribut versehen sind? Heute ging ich aus dem Stadtkern in die "Oststadt" hinaus (weil ich etwas besorgen musste) und dann wurde schnell klar, warum dieses Etikett hier nicht passt. Nämlich weil dieser Stadtteil nicht nur geschichts-, sondern auch gesichtslos ist, will heissen, solche Stadtteile mit funktionalen Wohnsiedlungen und mitten drin einem trostlosem Einkaufszentrum wurden irgendwann gebaut, können irgendwo stehen; es gibt sie in jedem Land, sie gleichen sich allesamt. Und entsprechend blicken auch die Leute drein. Der Buchtitel "Die Erotik der Tapete", wie es Ludwig Hasler frei nach Oscar Wilde nannte, kommt mir in den Sinn: Schau dir die Tapete der Leute beziehungsweise ihre Umgebung an, dann brauchst du dich über ihren Gesichtsausdruck nicht zu wundern.


Der tiefe Wassserstand des Rheins berührt mich zuweilen seltsam. Es ist ein erbärmlicher Anblick und hat etwas Hilfloses, wenn am Ufer die Schiffe auf die Seite gekippt oder die Hausboote schief auf ihren Schwimmkörpern halb im Trockenen liegen. (Klar, solche Bilder sieht man bei der Ebbe auch, aber es bleibt immer der Trost durch das Versprechen der Flut.) Die Schiffsstege führen meistens steil hinunter bis zum Einstieg in die Exkursionsboote, wenn diese überhaupt noch in Betrieb sind. Und die Motorschrauben der fahrenden Schiffe wirbeln viel Dreck vom Boden auf, damit sie überhaupt vorwärts kommen. Es ist eigenartig, wenn das Element, auf welches alle diese Fahrzeuge und Geräte angewiesen sind, von dem sie alle abhängen und ohne das sie eigentlich nutzlos werden, einfach wegzubleiben droht.
Wasser ist Leben, sagt man. Wir brauchen Wasser um zu leben, als Lebewesen bestehen wir grossmehrheitlich aus Wasser und wir sind auch im täglichen Wirtschaften davon abhängig.
Wasser hat keine eigene Form, es fliesst überall hin, wo es will, erst ein Gefäss gibt ihm die Richtung. Darin gleicht es dem Leben: Auch dieses hat keine eigene Form, es ist nicht fassbar, erscheint nur durch ein Lebewesen. Wasser ist Leben, also auch symbolisch gesehen.
Die Vitaliät geht verloren, wenn das Wasser fehlt, wörtlich wie symbolisch.






Dienstag, 23. Oktober 2018

Wind

Dienstag, 23. Oktober: Tricht - Gorinchem

Heute kommt während des Gehens erstmals ein neues Element ins Spiel: der Wind. Das allein ginge ja noch, aber er bläst von vorne. So, als wollte er mich daran hindern, mein Ziel allzu früh zu erreichen. Immer wieder muss ich dagegen ankämpfen und komme selten in den Rhythmus der vergangenen Wochen, in welchem das Gehen so selbstverständlich geworden war, dass ich meinen Beobachtungen und Gedanken nachhängen konnte und es zwischendurch geradezu vergass.
Auch spüre ich, wie meine Ungeduld wächst.


Es ist schon seltsam, wenn du auf dem Dammweg gehst und der Kanal rechts davon höher liegt als die Ebene links mit den Häusern und Strassen.


Heute Nacht schlafe ich in der Koje neben der Mühle.



Montag, 22. Oktober 2018

spes futura

Montag, 22. Oktober: Wijk bij Duurstede - Tricht

"Spes futura" - Zukunftshoffnung - heisst die Fähre, die mich am Morgen über den Lek, einen Nebenfluss des Rijnkanaals bringt. Wobei Fluss wohl nicht mehr der richtige Ausdruck ist für die vielen Teiche, Weiher, Seitenarme, Deich- und Entwässerungskanäle, die ab jetzt die Landschaft prägen. Ein Gefälle haben sie, genauso wie der Rhein, fast keines mehr. Manchmal gerätst du in Versuchung, statt auf dem Asphaltweg eine Abkürzung querfeldein über die weiten Wiesen zu nehmen, aber Achtung, plötzlich stehst du vor so einem Entwässerungskanal, kommst nicht weiter und musst dann den ganzen Weg zurück gehen. Ist mir erst einmal passiert, aber seither halte ich mich brav an die Dammwege.


Und auch von dem Rhein zu sprechen, ist hier nicht mehr ganz einfach, denn bei Millingen aan de rijn kurz nach der holländischen Grenze hat sich der Rhein in vorerst zwei Hauptarme aufgeteilt: in die Waal und in den Nederrijn. Die Lastschiffe verkehren auf dem ohnehin schon schmalen Nederrijn und bei dem jetzigen niedrigen Wasserstand bleibt ihnen eine noch engere Fahrrinne.
Sind es bei der Rheinquelle am Oberalp viele kleine Rinnsale und Bäche, welche von den Hängen hinunter sprudeln und sich im Lai da Tuma sammeln, so scheint sich der Rhein in Holland in den unzähligen Verästelungen fast aufzulösen.
Das spürst du auch beim Gehen: Der Ausdruck "dem Rhein entlang" passt hier nur noch bedingt, weil man nur noch selten direkt am Flussufer vorbeikommt. Entweder sind es Kuh- oder Schafweiden, die dies verhindern, oder dann sind es die Ortschaften, die sich nicht mehr direkt am Rhein befinden.
Dann geschieht bei mir dasselbe wie schon damals am Oberrhein: Wenn ich keinen Bezugspunkt habe, verliere ich in dem flachen Gelände schnell die Orientierung.
Und seit zwei Tagen führt der Weg nun vom Nederrijn durch das Landesinnere am Flüsslein Linge entlang hinunter zur Waal.


Soeben bin ich vom Nachtessen aus dem Dorf zurückgeradelt. Ja, geradelt! Margriet vom hiesigen Früchtebauernhof hat mir ein Fahrrad ausgeliehen, damit ich die fünf Kilometer hin und zurück nicht nochmals zu Fuss machen musste. So pedalte ich sternenklarem Himmel durch die holländische Mondnacht zurück zu meinem B&B.
Heute hatte ich wieder einmal Mühe eine Unterkunft zu finden. Der Hauptgrund ist, dass viel Hotels oder B&B's wegen Urlaub geschlossen sind oder dass die Radler ihre Touren schon lange im Voraus gebucht haben. Aber die Holländer sind hilfsbereit. So telefonierte Ronald, der Angesellte eines ausgebuchten B&B's sofort herum, bis er eine andere Unterkunft für mich fand. Das bedeutete aber nochmals einen stündigen Zusatzmarsch. Als ich ankam, erwartete man mich bereits und Margriet, die Freundin des Hofbesitzers, bot mir als erstes einen warmen Tee an. Den nahm ich bei den jetzt schon etwas tieferen Temperaturen gerne an. Dann wollte sie wissen, was mich umtreibe, woher und warum, denn sie hatte von Ronald vernommen, dass ich zu Fuss unterwegs sei. (In Holland geht man nicht zu Fuss, hier hat jeder sein Fietsen.) Etwa eine Stunde lang plauderten wir angeregt über meine Reise, bevor sie mir endlich mein Zimmer zeigte.


Ein Wort zur holländischen Gastronomie: Ich habe hier bis jetzt vorzüglich gegessen, die Holländer kochen wirklich ausgezeichnet. Gegen das deutsche Frühstück kommen sie nicht ganz an, aber was sie einem abends auftischen, ist von exzellentem Geschmack. Überhaupt gibt es hier eine sehr lebhafte Gasthauskultur. Selbst an einem Sonntagabend sind die Restaurants voll mit Gästen.
Tagsüber komme ich an sehr schönen Landhäusern vorbei und die Ortschaften, in denen ich logiere, sind herausgeputzt und vital.
Was mir besonders auffällt, sind die grossen Wohnzimmerfenster bei jedem Haus, und vor allem: Es gibt keine Vorhänge. Man sieht in jedes Haus hinein, manchmal sogar durch das Haus hindurch, man hat den Eindruck, hier gibt es keinen privaten Winkel. Man sieht die Büchergestelle, die Küchenmaschinen, die Schreibtische, die Kinderstuben und selbst in die Schlafzimmer kann man hineinsehen. Und man sieht auch die Menschen darin: wie sie frühstücken, wie sie Zeitung lesen, wie sie Geige oder Gitarre spielen, wie sie am Schreibtisch arbeiten; alles scheint öffentlich, als hätte niemand irgendetwas zu verheimlichen. Man kommt sich vor wie ein Voyeur. Ganz anders als bei uns oder in den deutschen Ortschaften, an denen ich vorbeigekommen bin, wo alles Private möglichst abgeschirmt wird, wo möglichst nichts gegen aussen preisgegeben wird.





Sonntag, 21. Oktober 2018

Klompenpaden

Sonntag, 21.Oktober: Wageningen - Wijk bij Duurstede
Samstag, 20. Oktober: Arnhem - Wageningen

Das 5-Gang-Menü im Restaurant "Drinks and Bites" in Wageningen besteht aus fünf kleinen Portionen im Stil der französischen Küche. Serviert wird es von jungen Frauen zwischen 17 und 18 Jahren. Sie sind sehr nett und machen ihre Sache gut, aber du spürst sofort, dass sie nicht professionell ausgebildet sind. Jeder Gang wird von einem anderen Mädchen gebracht und sie erklärt jeweils, was ich da kriege und welche Zutaten darin enthalten sind. Du merkst ihr an, dass sie sich vorher in der Küche alle Ausdrücke auf Englisch zurechtgelegt und allenfalls nachgefragt oder nachgeschaut hat und nun flott ihr Sprüchlein aufsagt. Beim vierten Gang frage ich die eine, besonders aufgeweckte, in welches Gymnasium sie denn gehe. - Sie seien alle fünf aus Ede und arbeiten hier Freitag-, Samstag- und Sonntagabend, sagt sie. Ende Schuljahr machen sie das "Eindexamen", um nachher an der Uni studieren zu können. Soll ich ihr sagen, dass ich Lehrer bin, nein war, und dass es früher mal Klassenaustausche zwischen ihrer und meiner Schule gab? Ich lasse es bleiben, wahrscheinlich würde sie höflich und verlegen lächeln und nicht wissen, was darauf sagen.


Machen wir uns nichts vor: Der Wert eines Menschen bemisst sich daran, was er für die Gesellschaft taugt. Und das fängt früh an. Schon kleine Kinder werden gefragt, was sie denn einmal werden wollen. Je realistischer ihre Antwort, umso besser. Sagt eines dagegen zum Beispiel, Eisverkäufer oder Seiltänzerin oder gar Zauberer, wird es nachsichtig belächelt und im Stillen denkt man, diese Hirngespinste werden ihm schon noch vergehen. Auch in den Jugendjahren, wo die Orientierungslosigkeit meist am grössten ist, kommt die Frage immer wieder: Was willst du denn werden später? Als gäbe es gar keine Gegenwart, als wären die Kinder oder Jugendlichen jetzt noch nichts, als zählte nur das Später, also die Zukunft. Selbst die Lehrpersonen glauben die Schüler damit anzuspornen, wenn sie sagen, dieser Lernstoff sei wichtig für später, an der Uni, im Beruf, im Leben. Als würden die Jugendlichen jetzt gar noch nicht richtig leben, als wäre ihr jetziges Leben lediglich ein Provisorium, ein Übergangsstadium fürs spätere, wirkliche Leben.


Und wenn man dann - durch eigenes Verdienst oder durch mehr oder weniger glückliche Umstände - das geworden ist, was man anstrebte, fragt man sich plötzlich, worauf sich der Ehrgeiz denn jetzt noch richten könnte. (Bei Lehrpersonen stellt sich diese Frage ganz besonders. Worauf richtet sich der Ehrgeiz eines Pädagogen eigentlich genau?)
Und plötzlich kommt der Moment, wo dich niemand mehr fragt, was du werden willst, sondern was du einmal gewesen bist. Als wärst du bloss das, was du früher warst, als würdest du dich nur aus deiner Vergangenheit heraus definieren. Und tatsächlich, viele sagen ja selbst: Zu meiner Zeit..., als ich damals..., wir mussten noch..., heute ist es halt nicht mehr... undsoweiter.
Es scheint, als gäbe es für dich keine Zukunft mehr; du bist, was du (gewesen) bist, aus dir wird nichts anderes mehr. Und vielleicht stimmt das auch: Etwas anderes werde ich bestimmt nicht mehr, denn das bezieht sich nur auf die gesellschaftliche Funktion, aber vielleicht werde ich noch jemand anders, vielleicht entwickle ich mich ja als Person noch weiter. In der grossen Buchhandlung in Düsseldorf lag ein Buch auf des jamaikanischen Soziologen Stuart Hall. Er sagt, die zentrale (politische) Frage heute ist nicht: Wer sind wir?, sondern: Zu wem können wir werden?. Die Aufgabe besteht daher nicht darin, weiter so zu denken wie bisher, sondern zu lernen, anders zu denken.

Beim Gehen zählt nur die Gegenwart: Die Vergangenheit ist schön und gut, sie hat mich hierher geführt, und die Zukunft ist - hoffentlich - auch gut, aber wo du dich wirklich spürst, ist nur im Hier und Jetzt. Schritt um Schritt um Schritt um Schritt...
In der Geh-genwart sozusagen.




In Holland gibt es ähnlich wie in Deutschland verschiedene Wanderrouten entlang des Rheins und eine davon, der ich immer wieder begegne, heisst Klompenpaden.