Sonntag, 21. Oktober 2018

Klompenpaden

Sonntag, 21.Oktober: Wageningen - Wijk bij Duurstede
Samstag, 20. Oktober: Arnhem - Wageningen

Das 5-Gang-Menü im Restaurant "Drinks and Bites" in Wageningen besteht aus fünf kleinen Portionen im Stil der französischen Küche. Serviert wird es von jungen Frauen zwischen 17 und 18 Jahren. Sie sind sehr nett und machen ihre Sache gut, aber du spürst sofort, dass sie nicht professionell ausgebildet sind. Jeder Gang wird von einem anderen Mädchen gebracht und sie erklärt jeweils, was ich da kriege und welche Zutaten darin enthalten sind. Du merkst ihr an, dass sie sich vorher in der Küche alle Ausdrücke auf Englisch zurechtgelegt und allenfalls nachgefragt oder nachgeschaut hat und nun flott ihr Sprüchlein aufsagt. Beim vierten Gang frage ich die eine, besonders aufgeweckte, in welches Gymnasium sie denn gehe. - Sie seien alle fünf aus Ede und arbeiten hier Freitag-, Samstag- und Sonntagabend, sagt sie. Ende Schuljahr machen sie das "Eindexamen", um nachher an der Uni studieren zu können. Soll ich ihr sagen, dass ich Lehrer bin, nein war, und dass es früher mal Klassenaustausche zwischen ihrer und meiner Schule gab? Ich lasse es bleiben, wahrscheinlich würde sie höflich und verlegen lächeln und nicht wissen, was darauf sagen.


Machen wir uns nichts vor: Der Wert eines Menschen bemisst sich daran, was er für die Gesellschaft taugt. Und das fängt früh an. Schon kleine Kinder werden gefragt, was sie denn einmal werden wollen. Je realistischer ihre Antwort, umso besser. Sagt eines dagegen zum Beispiel, Eisverkäufer oder Seiltänzerin oder gar Zauberer, wird es nachsichtig belächelt und im Stillen denkt man, diese Hirngespinste werden ihm schon noch vergehen. Auch in den Jugendjahren, wo die Orientierungslosigkeit meist am grössten ist, kommt die Frage immer wieder: Was willst du denn werden später? Als gäbe es gar keine Gegenwart, als wären die Kinder oder Jugendlichen jetzt noch nichts, als zählte nur das Später, also die Zukunft. Selbst die Lehrpersonen glauben die Schüler damit anzuspornen, wenn sie sagen, dieser Lernstoff sei wichtig für später, an der Uni, im Beruf, im Leben. Als würden die Jugendlichen jetzt gar noch nicht richtig leben, als wäre ihr jetziges Leben lediglich ein Provisorium, ein Übergangsstadium fürs spätere, wirkliche Leben.


Und wenn man dann - durch eigenes Verdienst oder durch mehr oder weniger glückliche Umstände - das geworden ist, was man anstrebte, fragt man sich plötzlich, worauf sich der Ehrgeiz denn jetzt noch richten könnte. (Bei Lehrpersonen stellt sich diese Frage ganz besonders. Worauf richtet sich der Ehrgeiz eines Pädagogen eigentlich genau?)
Und plötzlich kommt der Moment, wo dich niemand mehr fragt, was du werden willst, sondern was du einmal gewesen bist. Als wärst du bloss das, was du früher warst, als würdest du dich nur aus deiner Vergangenheit heraus definieren. Und tatsächlich, viele sagen ja selbst: Zu meiner Zeit..., als ich damals..., wir mussten noch..., heute ist es halt nicht mehr... undsoweiter.
Es scheint, als gäbe es für dich keine Zukunft mehr; du bist, was du (gewesen) bist, aus dir wird nichts anderes mehr. Und vielleicht stimmt das auch: Etwas anderes werde ich bestimmt nicht mehr, denn das bezieht sich nur auf die gesellschaftliche Funktion, aber vielleicht werde ich noch jemand anders, vielleicht entwickle ich mich ja als Person noch weiter. In der grossen Buchhandlung in Düsseldorf lag ein Buch auf des jamaikanischen Soziologen Stuart Hall. Er sagt, die zentrale (politische) Frage heute ist nicht: Wer sind wir?, sondern: Zu wem können wir werden?. Die Aufgabe besteht daher nicht darin, weiter so zu denken wie bisher, sondern zu lernen, anders zu denken.

Beim Gehen zählt nur die Gegenwart: Die Vergangenheit ist schön und gut, sie hat mich hierher geführt, und die Zukunft ist - hoffentlich - auch gut, aber wo du dich wirklich spürst, ist nur im Hier und Jetzt. Schritt um Schritt um Schritt um Schritt...
In der Geh-genwart sozusagen.




In Holland gibt es ähnlich wie in Deutschland verschiedene Wanderrouten entlang des Rheins und eine davon, der ich immer wieder begegne, heisst Klompenpaden.












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