Mittwoch, 26. September 2018

Gehen - Schreiben

Mittwoch, 26. September: Mainz - Rüdesheim
Dienstag, 25. September: Mainz

Gehen und Schreiben sind zwei völlig verschiedene Tätigkeiten. Und kaum gleichzeitig auszuüben. Es ist zudem möglich, dass du beim Gehen zwar viel siehst, hörst und erlebst, doch am Abend bist du viel zu erschöpft, um all das auch noch aufzuschreiben. So ergeht es mir heute nach fast 38 Kilometern in den Beinen.










Montag, 24. September 2018

Wenig zu lachen in Mainz - vorerst

Montag, 24. September: Oppenheim - Mainz
Sonntag, 23. September: Gernsheim - Oppenheim

Trüber Sonntagmorgen, windig, leichter Nieselregen. Ein unausgeschlafener Vater mit seinen zwei Kindern holt Brötchen in der Bäckerei, sonst sind die Strassen leer. "I'm walking through the streets that are dead - I'm walking with you in my head" geht mir durch den Kopf.
Es ist Herbst geworden.
Zuerst geht es am Gernsheimer Industriequartier vorbei, nachher beginnt das Althreiner Naturschutzgebiet Kühkopf. Ich gehe auf einsamen Dammwegen über weite Felder, überquere Seitenarme des Altrheins, dann in dunklen Eichenwäldern hinunter zum Anlegeplatz der Fähre. Es kommt mir schon etwas seltsam vor, dass mir die ganze Zeit über niemand entgegen kommt. Als ich am Rhein unten ankomme, ist weit und breit keine Fähre in Sicht, weder hüben noch drüben. Wegen Niedrigwasser, sagt eine Radfahrerin, die gerade vobeifährt, schon seit Monaten nicht mehr. Und ich hatte heute Morgen auf der Webseite extra noch nachgeschaut. Stand in der Zeitung, meint die Radlerin beim Wegfahren. Jetzt brauche ich wieder ein Stunde, bis ich zurück auf dem "richtigen" Pfad bin. Was solls, ich lese ein Paar Baumnüsse vom Boden auf und gehe los. Der Wind bläst jetzt immer stärker, die Bäume biegen sich bedrohlich, vor mir liegen einige abgebrochene Äste auf dem Boden, Eicheln fallen von den Bäumen, sodass ich meinen Kopf mit den Händen schützen muss. Es sind neun Kilometer bis zur nächsten Fähre, die mich über den Rhein zu meiner gebuchten Unterkunft in Oppenheim bringt.
Auf einem Wegweiser lese ich den Ortsnamen Goddelau. Ist das nicht der Geburtsort von Georg Büchner?
Kurz bevor ich beim Hotel ankomme, beginnt es zu regnen, und gerade als ich an der Rezeption bin, legt das Unwetter mit voller Wucht los.





Gerne spiegelt man sein Tun im Lichte von etwas Höheren. Wie viele berühmte Menschen haben sich nicht schon auf lange Spaziergänge, Wanderungen oder lange Fussmärsche begeben. Wertet es mein Handeln und meine Empfindung auf, wenn ich in den Fussstapfen von grossen Gehern und noch grösseren Denkern wandle? Wird meine Handlung edler, wenn ich weiss, dass schon eine gewichtige Persönlichkeit vor mir ähnliches getan hat? Zum Beispiel einen Turm hochgestiegen oder in einer Weinschenke ein Glas jungen Federweissen getrunken? Oder wird meine Empfindung intensiver, wenn mir in den Sinn kommt, dass die Bäume genau so rauschen wie im Film "Blow Up" von Antonioni? In seinem Aufsatz "Das Elend des Vergleichens" beschreibt Peter Handke dieses Thema. Wenn wir vergleichen, dann sehen wir die realen Dinge nicht mehr, wie sie sich hier und jetzt in ihrer Wirklichkeit zeigen. Dann werten wir ständig, ordnen zu: das ist gut, das ist schlecht; dies ist wertvoll, dies ist verwerflich, dies ist wichtig, dies unwichtig. Statt einfach wahrzunehmen, bevor wir urteilen.
Ähnlich verhält es sich mit dem Begriff "Sehenswürdigkeit". Was ist würdig, gesehen zu werden?



Ankunft in Mainz, Hotelsuche. Im Touristenbüro sagen sie: schwierig; telefonieren herum, leider nein, nichts zu machen. Ich stehe da mit meinem Rucksack, wie aus einem anderen Film. Ein Zimmer gibts noch für zweihundert Euro, irgendwo an der Peripherie. Na dann halt. Ziemlich unmutig gehe ich los. Eine ganze Stadt ausgebucht?!
In der Altstadt sehe ich in einer Seitengasse noch ein kleineres Hotel, gehe hin und frage. Ja, ein Einzelzimmer haben wir noch. Hof Ehrenfels heisst das Haus.
Am Abend sitze ich mit Helmut Vetter, dem Besitzer des sympathischen Gasthofs und stadtbekannten ehemaligen Bäckermeister, seinem Freund Manfred und dessen Frau Elke noch lange zusammen - und wir lachen viel.