Samstag, 1. September 2018

"Blybed Sie stoh!"

Samstag, 1. September: Bad Zurzach - Leibstadt - Laufenburg
Eigentlich wollte ich vom Besuch im Thermalbad erzählen gestern Abend nach dem trübnassen Tag, vom Solebad, vom Kristalldampfbad und von den wohltuenden Massagebrausen, oder vom sympathischen Gespräch mit Urs und Alfonsine, die von Basel nach Schaffhausen unterwegs sind.
Oder vom imposanten Anblick des Kühlturms des AKW-Leibstadt.






Auch heute ist wieder ein wolkiger Tag, kühl, aber glücklicherweise ohne Regen, also angenehme Wanderverhältnisse. Entsprechend sind wenige Menschen unterwegs. Der offensichtlich wenig begangene Rheinwanderweg von Schwaderloch nach Etzgen ist sehr schmal und führt durch einen dichten Eichenwald. Man hört nur das sanfte Gleiten des Rheins, dem sich übrigens seit Koblenz die Aare zugesellt hat, die ihrerseits in Brugg die Reuss aufgenommen hat. Jetzt sind alle eins im Rhein.
Wie ich so in Gedanken versunken vor mich hergehe, ruft plötzlich jemand laut: "Blybed Sie stoh!" Zu spät, ich sehe nur noch, wie ein Deutscher Schäferhund auf mich zugeschossen kommt und mir voll ins Gesicht springen will. Instinktiv drehe ich mich ab, so dass er an meinem Rucksack abprallt. Sofort nimmt er erneut Anlauf, springt mir ans Gesäss und schnappt zu. "Rufen Sie den Hund zurück!" werfe ich dem Mann zu, doch der antwortet bloss: "Blybed Sie doch still!", als ob ich das Problem wäre! Der Hund springt ein drittes Mal an mir hoch und schnappt nach meinem Bein. Jetzt erst bellt der Mann die üblichen autoritären Hundekommandi: "Aus! Still! Sitz! Platz!", bis sich das Tier dann endlich niederlegt. "Können Sie ihm vielleicht die Leine anlegen?!" fordere ich ziemlich ungehalten, nachdem der Mann diese bis jetzt locker um seinen Hals geschlungen hat. "Sie haben ihn halt erschreckt." sagt er noch halb beleidigt, als ich mich sprachlos zum Gehen wende. Ich fasse es nicht. Von einer Entschuldigung keine Rede. Selbertschuld - der Blödmann bin also ich. Der Mann ist ein unauffälliger, durchschnittlicher Typ mittleren Alters, ein senkrechter Schweizer Einfachbürger.
Ich frage mich: Was will mir jemand mit einem solchen Tier beweisen? Und was muss jemand  s i c h   s e l b s t  mit einem solchen Tier beweisen?
Ich hoffe sehr, derartige Hundeerlebnisse bleiben mir auf der weiteren Reise erspart.

Freitag, 31. August 2018

Pilze und andere seltsame Gewächse

Freitag, 31. August: Eglisau - Kaiserstuhl - Bad Zurzach
Ich beschreibe bei weitem nicht alles, was mir unterwegs begegnet oder was mir alles durch den Kopf geht. Das wäre auch schlicht nicht möglich. Zum Beispiel habe ich noch kaum etwas gesagt über all die Brücken über den Rhein, denen ich seit der Quelle begegnet bin: Alle haben sie ihre bestimmte Funktion und, je weiter ich komme, auch ihre historische Bedeutung als Grenzübergänge und Zollbrücken zwischen Österreich beziehungsweise Deutschland und der Schweiz.


Auch nichts gesagt habe ich über eine Kuriosität, die mir schon seit der Surselva in verschiedenster Gestalt immer wieder begegnet: die vielen militärischen Bunker - manchmal etwas getarnt und manchmal schon von weitem gut erkennbar. Unterhalb von Disentis gibt es einen, der als Holzchalet getarnt ist, hier an der Grenze zu Deutschland sind sie teilweise offener sichtbar, andere wiederum schiessen wie Pilze aus dem Laub. Sie alle stammen aus der Zeit, als in der Schweiz noch Einigkeit zu herrschen schien, wer der Feind war, wie er aussah und wie er uns bedrohte. Die Bunker wirken heute in ihrer präpotenten Erscheinung geradezu lächerlich. Sie haben wohl für viele auch etwas Nostalgisches, kann sich unsere heutige Gesellschaft ja nicht einmal mehr auf ein gemeinsames Feindbild einigen.






Kaiserstuhl ist ein pittoreskes Städtchen mit zwei alten Burgen, die je auf einer Seite des Rheins stehen. In Gottfried Kellers Novelle "Hadlaub" sind sie Schauplatz der Handlung.
Die friedvolle Atmosphäre des historischen Ortes wird einzig gestört durch die alle fünfzig Sekunden vorbeidonnernden, tieffliegenden Flugzeuge, die sich im Landeanflug zum Flugplatz Kloten befinden.



Zwischen Kaiserstuhl und Zurzach tut sich am Wegrand ein wahres  kleines Paradies auf. Als hätten sie in den letzten Tagen nur unter der Erdoberfläche gelauert, bis sie nach dem Regen endlich an die Oberfläche schiessen können, findet man hier die schönsten und kräftigsten Steinpilze. Körbe voll könnte man ernten; mir drückt es schier mein darbendes Pilzsammlerherz ab...


Donnerstag, 30. August 2018

Eine Nacht allein im Kloster

Donnerstag, 30. August: Rheinau - Eglisau
An der Rezeption hatte man mir gesagt, ich sei der einzige Gast im Kloster ausser einer Person, die erst abends spät anreise. Sonst sei absolut niemand im Haus.
Mein Zimmer befindet sich im ersten Stock in der Mitte eines langen Ganges. Der Blick aus dem Fenster geht auf einen duftenden Rosengarten hinaus, der die Klosterinsel gegen hinten abschliesst. Grosse Stille also.
Nach dem Abendessen im nahe gelegenen Restaurant Augarten hat es zu regnen angefangen. Auf dem Rückweg zur Insel treffe ich keine Menschenseele an. Beim Eintritt ins Kloster wird mir fast etwas unheimlich. Bei jedem Knacken und Klicken erschrecke ich. Trotzdem schaue ich mir noch die Räumlichkeiten auf meinem Stockwerk an. Es gibt diverse Musikfoyers und eine Treppe führt mich schliesslich hinauf zu einem Konzertsaal mit einem Flügel drin. Ich klimpere noch ein bisschen darauf herum, dann begebe ich mich zu meinem Zimmer und schlafe bald ein.

Beim Frühstück treffe ich dann die andere Person, die auch hier übernachtet hat. Sie ist Musikerin in einem Streichquartett, das hier heute Tonaufnahmen macht. Das Quartett heisst Kubus und die Kompositionen stammen von Ruedi Häusermann, dem bekannten Schweizer Theatermacher und Musiker. Sie sind Teil der im Moment laufenden Theaterproduktion "Letzter Aufruf für Ursin und Kubus".
Nachdem ich mich von Ruth verabschiedet und für die Weiterreise bereitgemacht habe, treffe ich vor dem Klostereingang auf Ruedi Häusermann und im selben Moment ruft Ruth aus einem Fenster im oberen Stock: "Ruedi, das ist ein grosser Fan von dir!" Wir kommen ins Gespräch über seine diversen Theaterarbeiten und ich erzähle kurz, was ich im Sinn habe. Nach einer sehr herzlichen Verabschiedung mache ich mich auf meinen Weg rheinabwärts.




Mittwoch, 29. August 2018

Tua res agitur


Mittwoch, 29. August: Diessenhofen - Kloster Rheinau
Ja, der Rheinfall ist imposant und mächtig, und ja, er ist beeindruckend.
Aber ich zähle jetzt nicht alle Superlative auf, wie gross die Wassermenge pro Sekunde mit welchem Druck und wie entstanden und wie viele Touristen pro Jahr usw. Das kann wer will nachschauen auf www. ...



Aus Neuhausen am Rheinfall stammte Heinrich Butz, mein verehrter Lehrer am Gymnasium, und er kommt mir in den Sinn auf dem Weg von Schaffhausen hierher. Er schaffte es uns zu vermitteln, dass Schule und Leben nicht zwei verschiedene Dinge zu sein brauchen, bei ihm fand Leben nicht (nur) irgendwo nach oder vor dem Unterricht statt, sondern im Schulzimmer selbst, im Hier und Jetzt, der Stoff war mit dem Leben von uns heranwachsenden jungen Menschen verknüpft. Tua res agitur! hiess die Losung: Hier geht es um dich!
Heinrich Butz gab dann später ein Buch heraus mit Hunderten von Zitaten berühmter Persönlichkeiten aus Literatur, Philosophie und Geschichte, und zwar unter dem Titel: "Sie waren alle am Rheinfall".



Nach dem Tosen und Schäumen und dem touristischen Treiben am Rheinfall schlängelt sich der Rhein nun wieder still und einsam zwischen bewaldeten Ufern weiter Richtung Basel. Ab und zu ein Vogelgezwitscher, manchmal ein Holzkahn, aber sonst ist keine Menschenseele mehr zu hören oder zu sehen.
Herberge finde ich für heute Nacht auf der Musikinsel beim Kloster Rheinau.








Dienstag, 28. August 2018

Wieder am Rhein

Montag, 27. August: Konstanz - Steckborn
Konstanz wäre eine Stadt zum Entdecken. Ich werde wiederkommen.
Aber es zieht mich weiter. Bei einem verlassenen Zollübergang kehre ich in die Schweiz zurück und mache mich auf den Weg.
Bald treffe ich auf einen älteren Herrn mit einer Wanderkarte in der Hand. Radfahrer gibt es einige, doch wer geht, fällt auf. Wir kommen ins Gespräch und finden heraus, dass wir zum selben Ort wollen: Steckborn.
Wir gehen am Ufer des Untersees entlang und Lutz erzählt, dass er aus Pforzheim stammt und im Sinn hat, einen Pilgerweg bis Basel zu machen. Er ist in Schaffhausen stationiert und fährt nach jeder gewanderten Etappe mit dem Zug zurück zu seiner Unterkunft und am Morgen wiederum an den Ort, wo er am Vorabend Halt gemacht hat. Lutz ist ein interessanter Mensch, der viel zu erzählen hat. Indem wir so miteinander plaudern, vergeht die Zeit im Nu. Bei der Schifflände in Steckborn verabschieden wir uns. Eine schöne Begegnung.




Nachdem ich mein Zimmer in einem Hotel direkt am See bezogen habe, reicht es noch für einen ausgiebigen Schwumm in der Abendsonne.




Dienstag, 28. August: Steckborn - Stein am Rhein - Diessenhofen
Die Altstadt von Stein am Rhein ist ein Schmuckstück. Die Häuser sind voller Verzierungen und auf vielen historischen Gebäuden gibt es wunderschöne Wandbilder. Auf einem davon ist die Rückkehr der Söldner aus der Schlacht von Murten 1476 zu sehen und wie sie von ihren Angehörigen freudig in die Arme geschlossen werden. Ein buntes, farbenfrohes Bild, das aber optisch chancenlos ist gegen die schrillen Farben der Bekleidungen der unzähligen Radfahrer.
Nach Stein am Rhein verengt sich der See wieder zum Fluss und ich bin richtig froh, wieder am Rhein zu sein. Das Wasser fliesst wieder...





In Diessenhofen nehme ich schliesslich wiederum ein Bad, diesmal lasse ich mich vom Rhein treiben. Was für ein schönes Gefühl, nach dem vollbrachten Tageswerk im Wasser zu liegen."Umfangend umfangen", wie Goethe sagt.
Heute ist sein Geburtstag.







Sonntag, 26. August 2018

Betreten verboten

Sonntag, 26. August: Rorschach - Konstanz
Puristen werden jetzt aufschreien, werden mich verhöhnen und verachten, werden von Betrug und Verrat sprechen, werden vielleicht sogar mit Blog-Boykott drohen: Denn ich habe es getan, ich habe von Rorschach bis Kreuzlingen das Schiff genommen, bin zweieinhalb Stunden lang dem Ufer entlang getuckert auf dem MS Thurgau, von wo aus ich bei blauem Himmel die beste Aussicht auf all die pittoresken Ortschaften, ihre Strandbäder und Parks, ihre herrschaftlichen Land- und Einfamilienhäuser sowie auf den Bodensee geniessen konnte.


Wäre ich zu Fuss unterwegs gewesen, hätte ich nur einen Bruchteil davon gesehen.
Warum?
Ich habs am Vortag bereits festgestellt auf dem Weg von Rheineck über Altenrhein nach Rorschach: Kein Zugang, privat, nur für Mitglieder, videoüberwacht, Unbefugten ist der Zutritt untersagt, Betreten verboten, Alarmanlage eingestellt, kein Durchgang, heisst es alle paar Meter. Man geht ständig zickzack, kommt an Vorgärten vorbei, Autoparkplätzen, Hinterhöfen von Industriegebäuden und ab und zu erhascht man zwischen zwei Häusern einen Blick auf den Bodensee. Das kanns ja nicht sein.
Zudem will ich ja dem  R h e i n  entlang gehen...
Es ist wirklich so, dass Uferzonen am Fluss ganz anders gestaltet sind als jene am See. Flussufer sind viel seltener in privatem Besitz als Seeufer - zum Glück.
Besitz grenzt aus, Gehen verbindet.
Nomaden besitzen nur das, was sie mitnehmen können, kaum je aber Land. Besitzende müssen sich ständig um ihr Eigentum sorgen, müssen es beschützen, in Stand halten, müssen fürchten, dass es ihnen abhanden kommt. Also setzen sie sich drauf und klammern sich daran.
Sitzen ist statisch, macht träge und unfrei. Gehen dagegen ist dynamisch, hält frisch und ist ungebunden.
Bevor der Mensch sesshaft wurde, war er Nomade.
Der Mensch hat zwei Beine.
Wenn wir dafür geschaffen wären, immer an Ort und Stelle zu bleiben, wären wir wie Pflanzen.

In Rorschach besuchte ich gestern Nachmittag die Kunstsammlung Würth und darin die Ausstellung "Literatur kann man sehen", mit Exponaten von Hermann Hesse, Günter Grass und Hans Magnus Enzensberger. Ja, Literatur kann man bildlich darstellen.


Für all jene. die ihre Weisheiten lieber sitzend konsumieren, gibt es in Rorschach die Siddharta Buddha Lounge, sozusagen Instant ZEN in der Cüpli-Bar:


Und in Konstanz begegnet mir wieder der Satz , den sich jetzt auch der Kommerz zunutze gemacht hat. Wenns alle sagen, muss wohl was Wahres dran sein.