Montag, 22. Oktober 2018

spes futura

Montag, 22. Oktober: Wijk bij Duurstede - Tricht

"Spes futura" - Zukunftshoffnung - heisst die Fähre, die mich am Morgen über den Lek, einen Nebenfluss des Rijnkanaals bringt. Wobei Fluss wohl nicht mehr der richtige Ausdruck ist für die vielen Teiche, Weiher, Seitenarme, Deich- und Entwässerungskanäle, die ab jetzt die Landschaft prägen. Ein Gefälle haben sie, genauso wie der Rhein, fast keines mehr. Manchmal gerätst du in Versuchung, statt auf dem Asphaltweg eine Abkürzung querfeldein über die weiten Wiesen zu nehmen, aber Achtung, plötzlich stehst du vor so einem Entwässerungskanal, kommst nicht weiter und musst dann den ganzen Weg zurück gehen. Ist mir erst einmal passiert, aber seither halte ich mich brav an die Dammwege.


Und auch von dem Rhein zu sprechen, ist hier nicht mehr ganz einfach, denn bei Millingen aan de rijn kurz nach der holländischen Grenze hat sich der Rhein in vorerst zwei Hauptarme aufgeteilt: in die Waal und in den Nederrijn. Die Lastschiffe verkehren auf dem ohnehin schon schmalen Nederrijn und bei dem jetzigen niedrigen Wasserstand bleibt ihnen eine noch engere Fahrrinne.
Sind es bei der Rheinquelle am Oberalp viele kleine Rinnsale und Bäche, welche von den Hängen hinunter sprudeln und sich im Lai da Tuma sammeln, so scheint sich der Rhein in Holland in den unzähligen Verästelungen fast aufzulösen.
Das spürst du auch beim Gehen: Der Ausdruck "dem Rhein entlang" passt hier nur noch bedingt, weil man nur noch selten direkt am Flussufer vorbeikommt. Entweder sind es Kuh- oder Schafweiden, die dies verhindern, oder dann sind es die Ortschaften, die sich nicht mehr direkt am Rhein befinden.
Dann geschieht bei mir dasselbe wie schon damals am Oberrhein: Wenn ich keinen Bezugspunkt habe, verliere ich in dem flachen Gelände schnell die Orientierung.
Und seit zwei Tagen führt der Weg nun vom Nederrijn durch das Landesinnere am Flüsslein Linge entlang hinunter zur Waal.


Soeben bin ich vom Nachtessen aus dem Dorf zurückgeradelt. Ja, geradelt! Margriet vom hiesigen Früchtebauernhof hat mir ein Fahrrad ausgeliehen, damit ich die fünf Kilometer hin und zurück nicht nochmals zu Fuss machen musste. So pedalte ich sternenklarem Himmel durch die holländische Mondnacht zurück zu meinem B&B.
Heute hatte ich wieder einmal Mühe eine Unterkunft zu finden. Der Hauptgrund ist, dass viel Hotels oder B&B's wegen Urlaub geschlossen sind oder dass die Radler ihre Touren schon lange im Voraus gebucht haben. Aber die Holländer sind hilfsbereit. So telefonierte Ronald, der Angesellte eines ausgebuchten B&B's sofort herum, bis er eine andere Unterkunft für mich fand. Das bedeutete aber nochmals einen stündigen Zusatzmarsch. Als ich ankam, erwartete man mich bereits und Margriet, die Freundin des Hofbesitzers, bot mir als erstes einen warmen Tee an. Den nahm ich bei den jetzt schon etwas tieferen Temperaturen gerne an. Dann wollte sie wissen, was mich umtreibe, woher und warum, denn sie hatte von Ronald vernommen, dass ich zu Fuss unterwegs sei. (In Holland geht man nicht zu Fuss, hier hat jeder sein Fietsen.) Etwa eine Stunde lang plauderten wir angeregt über meine Reise, bevor sie mir endlich mein Zimmer zeigte.


Ein Wort zur holländischen Gastronomie: Ich habe hier bis jetzt vorzüglich gegessen, die Holländer kochen wirklich ausgezeichnet. Gegen das deutsche Frühstück kommen sie nicht ganz an, aber was sie einem abends auftischen, ist von exzellentem Geschmack. Überhaupt gibt es hier eine sehr lebhafte Gasthauskultur. Selbst an einem Sonntagabend sind die Restaurants voll mit Gästen.
Tagsüber komme ich an sehr schönen Landhäusern vorbei und die Ortschaften, in denen ich logiere, sind herausgeputzt und vital.
Was mir besonders auffällt, sind die grossen Wohnzimmerfenster bei jedem Haus, und vor allem: Es gibt keine Vorhänge. Man sieht in jedes Haus hinein, manchmal sogar durch das Haus hindurch, man hat den Eindruck, hier gibt es keinen privaten Winkel. Man sieht die Büchergestelle, die Küchenmaschinen, die Schreibtische, die Kinderstuben und selbst in die Schlafzimmer kann man hineinsehen. Und man sieht auch die Menschen darin: wie sie frühstücken, wie sie Zeitung lesen, wie sie Geige oder Gitarre spielen, wie sie am Schreibtisch arbeiten; alles scheint öffentlich, als hätte niemand irgendetwas zu verheimlichen. Man kommt sich vor wie ein Voyeur. Ganz anders als bei uns oder in den deutschen Ortschaften, an denen ich vorbeigekommen bin, wo alles Private möglichst abgeschirmt wird, wo möglichst nichts gegen aussen preisgegeben wird.





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