Freitag, 12. Oktober 2018

Nathan to go

Donnerstag, 11. Oktober: Rheindorf - Düsseldorf

Im Hotel Rheinischer Hof war gestern nur noch das Personalzimmer im Dachstock frei, das normalerweise nicht vermietet wird. Während ich in der Gaststube warte, macht es die Frau des Patrons bereit. Sie ist eine Muslimin, die ihre Haare unter einem Kopftuch verhüllt. Im Zimmer liegt der Koran auf statt wie in andern Hotels eine Gideonsbibel. Am Morgen kommt die Frau auf mich zu und wünscht mir alles Gute auf meinem Weg. Ihr Mann habe ihr von meinem Vorhaben erzählt und sie sei sehr beeindruckt.
Der Rad- und Wanderweg am Rhein Richtung Düsseldorf heisst "Neanderland-Steig".




Im Schauspielhaus Düsseldorf steht heute Abend "Nathan (to go)" auf dem Programm. Das will ich mir auch nach 37 Kilometern in den Beinen nicht entgehen lassen. Die Inszenierung ist packend, die Schauspielleistungen präzise. Jedes Wort von Lessings wie in Marmor gehauenen Blankversen steht glasklar im Raum. Doch das Stück ist ja auch gefährlich. Seine Botschaft droht zur leeren Hülse zu verkommen, weil sich heutzutage jeder Politiker, jeder Konzern, jeder Sportverein, jeder Popstar und jedes Theater mit der darin angesprochenen Toleranz brüstet. "Nathans Ring ist so gross geworden, dass alles hineinpasst und er nichts Spezifisches mehr fasst", schreibt Navid Kermani im Programmheft. Dieser Kitsch-Falle entgeht die Inszenierung auf kluge Weise. So werden die gegenseitigen freudigen Umarmungen am Schluss des Stücks als Video gezeigt, während die "echten" Figuren stumm und isoliert voneinander langsam vor die Projektion treten.


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