Freitag, 12. Oktober 2018

Killepitsch

Freitag, 12. Oktober: Düsseldorf

Heute muss ich wirklich neue Schuhe kaufen, in den alten gehe ich schief wegen des seitwärts abgelaufenen Profils. Das spüre ich dann in den Knien.
Ich mache mich auf zum Outdoorgeschäft in der Kö, der grossen Einkaufsstrasse von Düsseldorf. Zielstrebig gehe ich an den Schaufenstern vorbei und im Laden selbst werde ich, dank einer kompetenten Verkäuferin, schnell fündig.
Wieder auf der Strasse lasse ich mich treiben an den unzähligen Schaufenstern mit den darin ausgestellten Waren vorbei. Alles schreit dich an: Guck mich an, kauf mich, du brauchst mich, damit du noch cooler, hipper, verführerischer, erfolgreicher wirst. Schöne Frauen, smarte Männer stehen als lebende Beweisstücke hinter den Verkaufstischen. Mich berührt das alles seltsam wenig heute, denn ich benötige gar nichts mehr, mein Rucksack ist voll. Die Waren üben keinen Reiz, keinen Sog auf mich aus, ich sehe sie zwar, aber sie gehen mich nichts an, die Anmache zielt ins Leere; mir ist, als gäbe es hinter diesen tausend Scheiben keine Welt.
Du hast hier nichts verloren, denke ich, wenn du in diesem System, in dem es nur ums Konsumieren geht, nicht mitmachen willst - oder kannst.
Wehe dir, wenn du nicht kannst!
Zwischen den Geschäften gibt es auffallend viele bettelnde Menschen. Sie können nicht mittanzen in diesem Konsumkarussell. Auch sie möchten mein Geld, aber im Gegesatz zu den Geschäften bieten sie nichts an, sie sind nur anwesend mit ihrer erbärmlichen Existenz. Das ist eine Provokation, eine Frechheit: Wie kann jemand in dieser Welt des Tausches von Ware und Geld, wo es nur um das Preis-Leistungsverhältnis geht, etwas fordern und  n i c h t s  anbieten? Sie erpressen dein Mitleid, sie pochen auf deine Mitmenschlichkeit, und das ist ärgerlich; und dass sie sich dabei selbst erniedrigen, macht die Sache nur noch schlimmer. Und weil es oftmals so aufdringlich ist, wirst du misstrauisch und witterst dahinter Kalkül und bandenmässiges Konzept.
Wie man es dreht und wendet, sie passen nicht ins System.


Ich flaniere durch die sonnendurchfluteten Strassen und plötzlich stehe ich vor dem Geburtshaus des Dichters Heinrich Heine, diesem genialen Poeten, der die kleinmütige Philisterseele so scharfzüngig entlarvte, doch tief im Herzen zeitlebens ein unverbesserlicher Romantiker blieb.


Am Abend sind Tausende von Menschen unterwegs in der Stadt. Einige tragen ein T-Shirt der "Toten Hosen". Die spielen heute Abend in Düsseldorf. Aber auch sonst herrscht Hochbetrieb. Ich frage jemanden, ob es etwas Bestimmtes zu feiern gäbe heute. Nein, das sei eigentlich immer so. Schau nicht so ernst und trink einen Killepitsch! heisst es jetzt. Ich bin in der Kneipe "Et Kabüffke" gelandet, wo der Düsseldorfer Kräuterlikör ursprünglich herstammt. Man erklärt mir, der Name komme daher, dass man in den Kellern nie wusste, wann die Bombe einschlägt und einen umbringt, daher wollte man vorher noch einen pitschen (trinken), bevor man gekillt wurde.




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen